Springschwänze aus dem Schubfach

oder: Der Komposthaufen im Wohnzimmer

Folsomia candida
Folsomia candida mit Eiern
Folsomia candida, Eier mit Jungtieren
Sinella curviseta
Eier von Sinalle curviseta
Einige Tiere dieser Tomocerus vulgaris habe ich aus einem Totholzhaufen im Garten isoliert. Sie werden 5-6 mm groß und lassen sich gut nachzüchten.
Größenvergleich von Tomocerus vulgaris und weißen Asseln.
Tomocerus vulgaris
Roter Springschwanz, Bilobella braunerae
Bilobella braunerae und eine Trauermückenlarve
Bilobella braunerae mit Jungtier. Diese sind erst farblos, färben sich erst später um.

Dieses ist die Internet-Version meines Artikels, der in der „Reptilia“ Nr. 10, April 1998, S. 56 – 59 erschienen ist.
Der Text ist identisch, nur die Aufmachung ist in der „Reptilia“ wesentlich schöner!


Springschwänze sind für einige Terrarientiere, aber auch für manche Aquarienfische ein wichtiges Element zur guten und artgerechten Ernährung. Für die einen sind „nur“ sie eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan, für die anderen, besonders für die Winzlinge unter den Terrarientieren sind sie überlebenswichtig. So könnten z. B. Jungtiere von manchen Pfeilgiftfroscharten oder einige Chamäleons der Gattung Brookesia ohne dieses Futter nicht im Terrarium ernährt werden. Aus diesem Grunde beschäftigen sich viele Vivarianer mit der Zucht dieser für ihre Pfleglinge wichtigen Futtertierart.
Springschwänze (Collembola) bilden mit weit über 3000 Arten zoologisch gesehen eine eigene Ordnung. Sie kommen weltweit, auch in den unwirtlichsten Lebensräumen wie z. B. dem Gletschereis (Isotoma saltans) oder auf der Oberfläche von Seen (Podura aquatica) vor. Die meisten Arten leben aber wohl im Erdboden und im Waldhumus und leisten dort einen wichtigen Beitrag für den Stoffkreislauf in der Natur. Sie sind nämlich für die Zerkleinerung toter Tier- und Pflanzenteile zuständig, die sie somit für den weiteren biologischen Abbau vorbereiten. Dabei wurden Mengen von 2000 Springschwänzen in einem Liter Waldhumus gefunden. Ihren Namen verdanken die Tiere der Sprunggabel, über die die meisten Arten verfügen. Sie wird in Ruhe unter dem Körper festgehalten, bei Beunruhigung klickt die Gabel jedoch nach hinten und katapultiert das Tier dadurch oft mehrere Zentimeter nach vorne. Obwohl die Artenzahl so immens hoch ist, sind terraristisch gesehen, d. h. als Futtertier, bisher lediglich 3-4 Arten interessant. Die dabei am häufigsten gezüchtete Art dürfte wohl der bis zu 3 mm große, schneeweiße Folsomia candida sein. Diese Art kommt häufig in Blumentöpfen von Zimmerpflanzen vor, woher man sich leicht einen Zuchtansatz beschaffen kann. Dazu flutet man den Blumentopf mit Wasser. Da die Springschwänze unzählige ca. 0,3 µm große, unbenetzbare Mikrotuberkel auf ihrer Körperoberfläche haben, schwimmen sie auf, so dass man sie bequem von der Wasseroberfläche abschöpfen kann.
Springschwänze werden meistens auf einem stets feucht zu haltendem Substrat (z. B. Torf, Gipsplatten, Mexifarnplatten) in Plastikgefäßen gehalten und regelmäßig, meistens alle 2 bis 4 Tage, mit zerriebenem Flockenfutter für Aquarienfische, Kartoffelscheiben, Sojamehl, Bierhefe oder anderen Geheimrezepten gefüttert. Dabei wiederholt sich die Prozedur Deckel auf, Futter rein, Deckel zu, etliche male, je nachdem, wie viele Zuchten man unterhält. Da die Entnahme der Tiere zum Verfüttern meist durch Ausklopfen der Springschwänze aus dem schräg gehaltenen Behälter erfolgt, muss das Zuchtsubstrat fest und plattenförmig sein, damit es bei dieser Prozedur nicht mit im Terrarium oder Aquarium landet. Diese Plattenstruktur hat den Nachteil, daß die Tiere nur die Oberfläche des Substrates besiedeln, ohne in lockeres und poröses Material eindringen zu können, durch dessen Verwendung die Besiedlungsfläche und damit die Populationsdichte beträchtlich erhöht werden könnte. Einen weiteren Nachteil hat die Wahl dieser für Springschwänze unnatürlichen Substrate: vergisst man nämlich die Fütterung für einige Tage, oder ist durch Urlaub oder andere Umstände nicht in der Lage seine Springschwanzzuchten zu versorgen, geht die Populationsdichte in den Kulturen innerhalb weniger Tage sehr rapide zurück.
Aufgrund dieser Überlegungen probierte ich andere, lockere Materialien aus, die die Besiedlungsfläche der Springschwänze erhöhen und ein gewisses Nahrungsreservoir beinhalten sollten: Torf, Rindenmulch, Buchen- und Eichenlaub sowie Waldhumus wurden in die üblichen Plastikgefäße gegeben, leicht angefeuchtet und mit Zuchttieren angeimpft. Vor der Benutzung wurde das Laub und der Humus noch für ca. 5 Minuten in der Mikrowelle erhitzt, um möglicherweise vorhandene Asseln, Milben und andere unerwünschte Gäste abzutöten. Auf allen Substraten ließen sich die Springschwänze gut züchten. Bei beim Humus fiel zusätzlich noch auf, dass die Kulturen nicht empfindlich auf zu geringes Füttern reagierten. Auch in den Zuchten mit Humus, die absichtlich nicht ein einziges Mal gefüttert wurden, vermehrten sich die Springschwänze genauso schnell, wie in den gefütterten Ansätzen. Logisch eigentlich, züchtet man sie doch in ihrem natürlichen Substrat, in dem sie -zumindest in den ersten Monaten- genügend Nahrung finden. Die Entnahme der Tiere zum Verfüttern gestaltete sich allerdings sehr schwierig, kam doch beim üblichen Umkippen der Behälter und ausklopfen der Springschwänze der ganze Humus mit heraus. Es galt also eine Zuchtmethode zu finden, die ein Umkippen der Zuchtbehälter zur Futtertierentnahme unnötig macht.

Der im Artikel beschriebene Springschwanz-Zuchtschrank.

Im Bau- oder Pflanzenmarkt erhältliche Pflanzenzuchtschalen mit den Maßen 22 x 17 x 5 cm (L x B x H) wurden als Zuchtbehälter ausgewählt. Hierfür klebte ich nach Maß einen Glasschrank, in den sich die Behälter schubfachartig übereinander einschieben lassen. Der Behälter hat die Abmessungen 24 x 30 x 51 cm (L x B x H). Die Frontseite ist geteilt, der obere Teil mit 48,5 cm Höhe ist als Klappe mit seitlichem Silikonscharnier eingeklebt und lässt sich so sehr dicht verschließen. Der untere Teil der Frontseite besteht aus einem 2,5 cm hohen, fest eingeklebten Glassteg. Die Deckscheibe hat nach hinten ca. 2 cm Gefälle, damit das Kondenswasser zur Rückseite hin abläuft. Die Pflanzenzuchtschalen werden auf 15 mm breiten Glasstreifen, die an die beiden Seitenscheiben geklebt wurden, in den Schrank eingeschoben. Die untere Schale hängt auch auf Schienen, so daß zum Boden des Zuchtschrankes noch ca. 3 cm Abstand sind. Die Bodenplatte des Glasschrankes ist schräg eingeklebt, so dass sich ein Gefälle nach links vorne ergibt. An dieser tiefsten Stelle befindet sich im Glassteg der Frontseite eine 10 mm Bohrung zur Entnahme der Futtertiere, die mit einem Gummistopfen verschlossen ist. Die 7 Zuchtschalen wurden ca. 3 cm hoch mit lockerem Humus aus einem Buchenwald gefüllt und so viel Wasser aufgesprüht, dass sich ein Wasserstand von ca. 1 mm einstellte. Jeder Schale wurde mit einem Zuchtansatz von Springschwänzen versehen und so in den Glasschrank eingeschoben, dass die Hinterkante die Rückscheibe des Schrankes berührt. Dieses hat den Sinn, dass die Springschwänze nur an der Vorderkante, die einige Zentimeter Abstand zur Glastür hat, aus den Schalen entweichen können. Der Zuchtschrank wurde in meinen Terrarienzimmer aufgestellt, in dem die Temperatur zwischen 18 und 25 Grad Celsius liegt. Es stellte sich im Zuchtschrank eine Luftfeuchtigkeit von 90 – 100 % ein. Nun hieß es nur noch warten. In den ersten Wochen habe ich die wenigen Springschwänze, die sich durch entweichen aus den Schalen am Behälterboden sammelten, nicht verfüttert. Ich spülte sie jede Woche einmal mit Wasser aus der Entnahmebohrung in ein Gefäß und gab sie wieder in die Zuchtschalen zurück. Erst nach ca. 3 Monaten begann ich damit die Menge von etwa einem halben Teelöffel wöchentlich zu entnehmen. Die Anzahl der sich am Behälterboden sammelnden Tiere stieg stetig, so dass ich, seit die Kultur ein halbes Jahr in Betrieb ist, etwa alle 2-3 Tage die Ausbeute von einem Teelöffel zum Verfüttern habe. Die Zucht läuft nun so bereits über 1 ˝ Jahre bei mir. Es hat sich scheinbar ein Gleichgewicht zwischen Entweichen der Springschwänze aus den Zuchtschalen und deren Vermehrung eingestellt. Obwohl beim ersten Hinschauen kaum Tiere in den Zuchtschalen zu sehen sind, da sie zum größten Teil im Humus verschwunden sind, ist die Individuenzahl wesentlich höher, als sie bei meinen bisherigen Zuchten mit den plattenförmigen Substraten gewesen ist. Dieses habe ich überprüft, indem ich einmal eine Zuchtschale mit Wasser geflutet habe. Erstaunlich, wieviel Tiere da an der Oberfläche auftauchten! Der Hauptvorteil dieser Zuchtmethode ist aber, dass sie fast ohne jede Pflege auskommt. Lediglich alle 2-3 Wochen muss mit etwas pulverisiertem Fischfutter nachgefüttert werden. Dazu wird das Futter aufgestreut und dann mit einer Gabel dem Substrat untergemengt. Zusätzlich wird nach Bedarf frischer Humus hinzugefügt, da dieser in den Zuchtschalen nach und nach zusammenfällt. Als „Langzeitfutter“ benutze ich das Laub von leicht verrottenden Baumarten wie Kastanie, Kirsche, Nussbaum etc. Das Laub wird im Herbst aufgesammelt, getrocknet und nach Bedarf zerbröselt und in die Zuchtschalen gegeben. Von den Blättern ist nach einigen Wochen nur noch das Blattgerippe übrig, ein Zeichen, dass es den Springschwänzen geschmeckt hat. Nach etwa einem Jahr sind Laub und Humus soweit abgebaut, dass es sich zu einer pampigen Masse verdichtet. Dann muss der Inhalt der ganzen Schale, nach Abtrennung der Springschwänze, entfernt und durch frisches Substrat ersetzt werden. Dieser Pflegeaufwand steht in keinem Verhältnis mehr zu dem, den ich früher hatte, als ich noch 20 bis 30 einzelne Plastikschalen mit Deckel alle 2 Tage zu versorgen hatte. Die Gesamtausbeute ist in etwa so wie ich sie sonst mit rund 20 Zuchtbehältern der Größe 11 x 11 x 5 cm erzielt habe. Um größere Futtertiermengen zur Verfügung zu haben, müsste man Zuchtschrank und -schalen größer dimensionieren.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass sich die beschriebene Methode zur Zucht von Springschwänzen bei mir hervorragend bewährt hat. Sie hat sich als extrem pflegearm und stabil herausgestellt. Auch Milbenbefall und Schimmelwachstum sind bisher, wahrscheinlich durch die hohe Populationsdichte der Springschwänze, noch nicht vorgekommen. Lediglich die lange Einfahrzeit von mindestens 3 Monaten, die man aber unbedingt einhalten muss, stellt eine Gedultsprobe für jeden Futtertierzüchter dar.
Ich hoffe, dass dieser Artikel den einen oder anderen Springschwanzzüchter dazu anregt, zu Glasschneider und Silikonspritze zu greifen und sich selbst mal einen „Minikomposthaufen fürs Wohnzimmer“ zu kleben. Es wird ihm auf Dauer einige Arbeit ersparen!

Literatur:
Wyniger, R. (1974): Insektenzucht. -Ulmer, Stuttgart
Friederich, U. & W. Volland (1992): Futtertierzucht. -Ulmer, Stuttgart


Nachtrag 1:
Um einen neuen Zuchtschrank zu starten, kann man auch ein großes luftdicht zu verschließendes Gefäß mit Humus füllen und einige Springschwänze als Startpopulation zugeben. Dann läßt man das Gefäß einfach einige Monate stehen und füllt das dann das voller Springschwänze sitzende Substrat in die Zuchtschalen im Schrank. Dadurch entfällt das lästige Ausspülen und oben Wiedereinbringen der Springschwänze beim Einfahren eines Zuchtschrankes!

Nachtrag 2:
In einigen Versuchen habe ich festgestellt, dass sich Pilze (ja richtig, Champions und Co.) sehr gut als Springschwanzfutter eignen. Sie werden von den Springschwänzen sehr gerne gefressen. Milben scheinen kein Interesse an Pilzen zu haben, so dass man sich diese Schädlinge damit nicht anlockt. Langzeitversuche laufen allerdings noch, so dass ich noch nicht sagen kann, ob sich dieses Zufüttern mit in Scheiben geschnittenen Pilzen oder getrockneten und gemahlenem Pilzpulver auf Dauer bewährt und ob es sich überhaupt lohnt, d.h. die Ausbeute erhöht.


Links:

www.collembola.org
Zoologie der Springschwänze