Gift

Wenn man sich mit Pfeilgiftfröschen befaßt, kommt man natürlich um das Thema Gift nicht herum.
Obwohl das Gift namensgebend für die ganze Gattung der Dendrobatidae ist (neben Namen wie Färberfrösche, Blatt- oder Baumsteigerfrösche), gibt es eigentlich nur 3 Arten, die so giftig sind, dass sie von einigen Indianerstämmen Kolumbiens, den Stämmen der Choco-Indianer, zur Herstellung ihrer Blasrohrpfeile verwendet werden: Phyllobates aurotaenia, Ph. bicolor und Ph. terribilis.
Diese Arten produzieren auf ihrer Haut das Alkaloid Batrachotoxin, eine Substanz, die zu den wirksamsten Giften überhaupt gehört.

Wie folgende Tabelle zeigt, gibt es wahrscheinlich nur 3 Substanzen, die noch giftiger sind als Batrachotoxin:

Vergleich einiger bekannter Gifte
GiftstoffHerkunftMLD # in µg/kgVerbindungstyp
BotulinustoxinBakterien (Clostridium botulinum)0,00003Peptid
PalytoxinHohltiere0,15Polyether
CobratoxinGiftschlangen, Kobra (Naja naja)0,3Peptid
BatrachotoxinPhyllobates terribilis0,8Alkaloid
RicinRicinuspflanze (Ricinus communis)6Peptid
EpibatidinEpipedobates tricolor40-80Alkaloid
AmanitinKnollenblätterpilz (Amanita phalloides)100Peptid
AcotininBlauer Eisenhut (Acontium napellus)150Alkaloid
SamandarinSalamander (Salamander maculosa)300Steroid
BufotoxinKröte (Bufo vulgaris)390Steroid
CurareLiane (Strychnos toxifera)400Alkaloid
NatriumcyanidIndustriechemikalie10000Cyanid
# minimale letale Dosis
aus:
-Römpps Chemie-Lexikon, Frankhsche Verlagshandlung Stuttgart
-G. G. Habermehl: Gift-Tiere und ihre Waffen, Springer-Verlag

Die größte Menge des Giftes produziert der „schreckliche Pfeilgiftfrosch“, Phyllobates terribilis. Er besitzt auf seiner Haut genug Batrachotoxin um 20 000 Mäuse oder aber 10 erwachsene Menschen zu töten. Dennoch braucht man sich als Terrariener normalerweise keine Gedanken zu machen. Die Tiere, die wir in unseren Terrarien haben, sind Nachzuchten und damit ungiftig. Selbst Wildfänge verlieren in Gefangenschaft nach 6 – 12 Monaten ihre Giftigkeit. Warum das so ist, ist meines Wissens noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit geklärt. Daly et al. (1) zeigten aber 1994, dass sich Alkaloide, die Dendrobates auratus über das Futter verabreicht werden, sich in der Haut der Tiere anreichern. Stellt man die Verfütterung der Alkaloide ein, halten sich die untersuchten Gifte bei dieser Art noch bis zu 4 Jahre in der Haut, da die Tiere bei der täglichen Häutung ihre alte Haut fressen. Auch bei anderen Pfeilgiftfroscharten funktionierten diese Fütterungsveruche selbst mit Nachzuchttieren, die vorher völlig ungiftig waren. Aus welchen Insekten die Frösche in der Natur ihre Gifte beziehen, ist aber noch nicht erforscht.
Die verschiedenen Froscharten besitzen auch nicht nur ein Gift sondern immer ein Gemisch von verschiedenen Substanzen. So hat man in Ph. aurotaenia bisher 4 verschiedene Alkaloide unterschiedlicher Giftigkeit gefunden, in Dendrobates histrionicus sogar 10.

Die eigentliche Funktion der Gifte von Amphibien ist der Schutz gegen Bakterien und Pilze, die auf der immer feuchten Haut ansonsten optimale Wachstumsbedingungen vorfinden würden. Die jeweiligen Hautgifte wirken besonders gut gegen die Erreger, die im Biotop der jeweiligen Amphibienart vorkommen. Im Laufe der Evolution haben einige Arten dermaßen wirksame Gifte entwickelt, dass sich ein zweiter Vorteil ergab: die Abschreckung von Fressfeinden. Gleichzeitig entwickelten diese Arten grelle Warnfarben, meist gelb, rot oder orange, die den Feinden signalisieren „Vorsicht, ich bin ungenießbar“. Schlangen, die einmal einen Pfeilgiftfrosch im Maul haben, spucken ihn augenblicklich wieder aus, und reiben ihr Maul an ästen oder anderen Gegenständen, um den brennenden Geschmack wieder loszuwerden. In Zukunft machen sie einen Bogen um Tiere mit ähnlichen Warnfarben. Ein Bekannter, der in Französisch Guayana Dendrobates tinctorius mit der Hand berührte, berichtete von Schmerzen und Rötungen, die ähnlich sind wie die Symptome bei der Berührung von Brennesseln. Gefährlich wird es aber erst, wenn das Gift in die Blutbahn kommt.

Wirkungsweise

Batrachotoxin ist ein starkes Nervengift. Es verändert die Membrandurchlässigkeit der Muskel- und Nervenzellen für Natriumionen. Durch erhöhte Natriumkonzentrationen in den Zellen werden die Nervenimpulse blockiert, die normalerweise zur Entspannung der Muskulatur dienen, so dass der Muskel ständig angespannt bleibt. Dadurch treten fast schlagartig Muskel- und Atemlämung ein. Ein Gegenmittel ist nicht bekannt.

Giftgewinnung und Präparieren der Pfeile

Noch heute sollen einige Indianer in Kolumbien ihre Blasrohrpfeile mit Gift von oben genannten Phyllobatiden vergiften. Zu dieser Prozedur liest man in der Literatur über zwei unterschiedliche Varianten. Fangen wir mal mit der „harmloseren“ Methode an, die von den mehr südlichen Stämmen der Choco-Indianer angewandt wird.
Diese streifen ihre Pfeilspitzen einfach über den Rücken des lebenden Frosches. Die dazu benötigten Phyllobates terribilis werden längere Zeit in kleinen Bastkörbchen aufbewahrt und machnchmal sogar gefüttert. Wie lange die Tiere das mitmachen stand aber leider nirgendwo zu lesen.
Die nördlichen Stämme der Choco sind da schon wesentlich weniger zimperlich. Schon 1824 beschrieb der britische Marinekapitän Charles Stuart Cochrane die Prozedur, die er auf einer Expedition nach Kolumbien zu sehen bekam. Der Bericht wurde 1994 von K.-H. Wenzel (2) bestätigt: am späten Vormittag ist die Rufaktivität der Frösche am größten. In dieser Zeit fangen die Indianer die Tiere, die sie zum Präparieren ihrer Blasrohrpfeile benötigen. Sie werden in kleinen Bastkörbchen aufbewahrt. Zur eigentlichen Giftgewinnung geht es dann aber ans Eingemachte: die Tiere werden aufgespießt, indem ihnen längs durch das Maul ein Pfeil gesteckt wird, der an einem Hinterbein wieder heraustritt. An der Flanke, in der der Pfeil steckt, tritt dann als bläulich schimmernder Schaum das Gift aus, das dann auf die Pfeilspitzen gerieben wird. Ist die erste Seite verbraucht, wird der Pfeil aus dem Frosch herausgezogen und das Gleiche mit der anderen Seite und weiteren Pfeilen wiederholt. Die Pfeile werden aber auch an Ober- und Unterseite und an den Beinen des Frosches gerieben. Mit 3 Fröschen präparieren die Indianer so ca. 40 Pfeile. Das Gift ist etwa 1 Jahr lang wirksam. Ist ein Frosch „verbraucht“ wird er an den Hinterbeinen gegriffen und auf dem Boden erschlagen (na endlich) und dann an einen unzugänglichen Ort, wie z. B. auf einem Baum, „endgelagert“, damit sich niemand damit vergiften kann.
Mit den so präparierten Pfeilen erlegen die Indianer Hirsche, Pekaris, Agoutis, Affen, Gürteltiere, Eichhörnchen und verschiedene Vögel. Die getroffenen Tiere sterben fast augenblicklich an Muskel- und Atemlähmung. Die Pfeile sind nach der Präparierung sofort verwendungsfähig. Sie bestehen aus Palmblattrippen, um deren Ende vor dem Schuss Baumwolle gewickelt wird.

Epidatidin – das Schmerzmittel aus einem Pfeilgiftfrosch

Der amerikanische Pharmakologe Dr. John Daly entdeckte 1992, dass eine Komponente des Hautgiftes von Epipedobates tricolor eine schmerzlindernde Wirkung hat. Die Wirkung der Substanz Epibatidin stellte sich als etwa 200 mal stärker heraus, als die von Morphium. Mittlerweile ist das Mittel von der amerikanischen Firma Abbott zur Marktreife entwickelt worden.

Zu Forschungszwecken kann man die Reinsubstanz Epibatidin sogar schon im Chemiehandel  bestellen:

Weitere Links zum Thema Gift

Literatur:

(1) John W. Daly et al. (1994) : An uptake System for Dietary Alkaloids in Poison Frogs (Dendrobatidae), Toxicon 32, 657-663

(2) K.-H. Wenzel, Bemerkungen zum Pfeilgift der Indianer an der Pazifikküste Kolumbiens (Departmento Choco), Z. Jagdwiss. 40 (1994), 204-209, Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin.
G. G. Habermehl: Gift-Tiere und ihre Waffen, Springer-Verlag

(3) Mark W. Moffett: Lurid and Lethal, National Geographic Magazine, May 1995